Franz von Assisi

Amarandhus sammelte auf seiner Pilgerfahrt unfreiwillig Erfahrungen über essbare Pflanzen, nachdem er feststellen musste, dass sein Reiseproviant, welchen er in seinem Rucksack wähnte, von Meister Fuchs gegen Steine ausgetauscht worden war.

„Bestimmt hat das wieder irgendeine symbolische Bedeutung, nutzlose Steine im Rucksack mit sich herumzutragen“, kommentierte der glatzköpfige Mönch des Canidaer Ordens der heiligen Einfältigkeit im sarkastischen Tonfall, während er sein Gepäck Stein um Stein verschlankte.

Nur eine leere Schale, ein Brennbogen und etwas Zunder blieben in seinem Gepäck zurück, und so musste sich Amarandhus an unbekannten Pflanzen probieren, um seinen Hunger zu stillen. Am Abend hatte er genug Pilze gesammelt, um sich davon ein kleines Süppchen zu kochen. Zum Glück war er schon immer geschickt mit dem Brennbogen gewesen.

Befreit von der Last und mit gefülltem Magen sah er sich um.

„Wenn Du aufmerksam genug bist, dann spricht alles zu Dir“, wiederholte er nachdenklich die Worte des Meisters, die ihm speziell für diese Reise mitgegeben worden waren.

Er schaute in den Himmel, sah sich die Wolken an, die Hügel und das Gras. Wildgänse flogen über seinem Kopf hinweg und schnatterten. Amarandhus lauschte.

„Was wollt Ihr mir sagen?“, rief er schließlich den Gänsen hinterher, denn er verstand sie nicht. Doch sie antworteten ihm nicht; zumindest nicht in einer Sprache, die er – jetzt – verstand.

„Lacht mich nur aus“, sagte er zu den Steinen, die er aus dem Rucksack entfernt hatte, „was habt Ihr schon für Sorgen.“

„Hallo?“, sagte einer der Steine empört, der aussah, als hätte er ein lachendes Gesicht. „Glaubst Du, jemand hat uns gefragt, ob wir in deinem stinkenden Rucksack verreisen wollen?“

Amarandhus machte große Augen.

„Genau“, rief ein anderer Stein, der eher erschrocken wirkte, natürlich nur, wenn man die Fantasie besaß, darin ein Gesicht zu erkennen. „Und werden wir unsere Familien jemals wiedersehen? Nein, Du lädst uns einfach hier ab, lässt uns schutzlos und allein zurück und behauptest noch, DU wärst derjenige, der hier Probleme hat.“

„Der macht sich einfach keine Vorstellungen“, sagte ein dritter Stein mit düsterer Mine, die auch immer düsterer zu werden schien. „Aber uns hört ja auch keiner zu!“

Amarandhus kniete vor den Steinen nieder. Nicht nur, weil ihm ganz schwindelig war.

„Aber ich höre Euch, ich höre Euch zu!“, rief er; teils schockiert und teils euphorisch darüber, dass zu ihm gesprochen wurde.

„Ich glaubte nicht, dass Ihr sprechen könnt. Deshalb hab ich überhaupt nicht erst versucht, Euch zuzuhören“, erkannte der Mönch. Er schämte sich, doch nun, da er seinen Fehler eingesehen hatte, spürte er auch eine stille Erheiterung in ihm aufwachsen. Ja, tatsächlich war eine ausgewachsene Erleuchtung im Anmarsch, das konnte er ganz deutlich fühlen.

Und dann hörte er den Steinen zu. Abwechselnd bedrückt, mitfühlend, entsetzt, begeistert und schlussendlich zutiefst dankbar.

Dann sammelte er alle Steine wieder gewissenhaft ein, steckte sie in seinen Rucksack und eilte so schnell er konnte zurück zum Kloster. Vollkommen verschwitzt kam er dort an.

Meister Fuchs erzählte er die ganze Geschichte wie in einem Fieberwahn. Er bat den Altehrwürdigen, die Steine wieder dorthin zurückzubringen, wo er sie hergeholt hatte.

„Es ist wahr, Meister“, rief er zutiefst berührt, „alles spricht, wenn man nur zuzuhören vermag.“

Der Meister nickte ernst. Amarandhus‘ Erleuchtung wurde anerkannt, seine Pilgerfahrt trotz ihres Abbruches als erfolgreich beendet betrachtet.

Außerdem war er gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, damit man sich seiner schweren Pilzvergiftung annehmen konnte.

Amarandhus wurde berühmt als der mitfühlende Lauscher und ein großartiger Lehrer voller Liebe und Geduld.

(Das Beitragsbild zeigt Franz von Assisi)

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