Keyboard

Er war ein X-Frequencer. Aber das wusste für gewöhnlich keiner, da auch die wenigsten wussten, was ein X-Frequencer überhaupt war.

Er war jetzt schon drei Tage in der Firma. Er bewegte sich wie ein Panther, aber er hatte den Gesichtsausdruck eines Buddhas.

Drei Tage hatte er mit niemandem gesprochen, außer freundliche Grüße auszutauschen. Ansonsten hat er nur aufmerksam beobachtet.

Er ging durch die einzelnen Abteilungen und schaute sich ihren Aufbau an. Manchmal verrückte er einen Stiftehalter, einen Monitor oder einen Aktenschrank; teilweise nur um Zentimeter.

Manchmal stand er einfach nur unauffällig im Raum und schien vollkommen in Gedanken versunken zu sein. Die Mitarbeiter um ihn herum verhielten sich dann, als wäre er nicht anwesend. Wenn man ihm jedoch seine Aufmerksamkeit ansah, hatten sie Angst.

Es hieß, er war hier, um das Unternehmen zu optimieren. Daher fürchteten viele um ihren Job.

Am vierten Tag sprach er dann plötzlich mit den Menschen.

Er ging zu Sarah, der Empfangsdame. „Sie bekommen ab sofort und die gesamte nächste Woche frei. Sie müssen sich um ihre familiären Probleme kümmern“, erklärte er ihr. Er erklärte ihr nicht, woher er diese Information hatte.

Sarah machte große Augen, wie ein Reh, das in die Scheinwerfer eines schnell heran eilenden Autos schaut. „Aber …“, fing sie an.

„Ich habe die Befugnis für diese Entscheidung und die Zusicherung, dass dies keinen Einfluss auf die geschäftliche Beurteilung über Sie haben wird“, sagte er sanft mit einer minimalen Geste. „Sie können jetzt sofort gehen, um alles andere wird sich gekümmert. Kommen Sie nach ihrer Auszeit wieder. Diese wird Ihnen übrigens nicht vom Urlaub abgerechnet.“

Immer noch ängstlich, aber doch entschlossen, und mit einer stillen Dankbarkeit in ihrem gesenkten Blick räumte Sarah ihren Arbeitsplatz, als hätte sie nur auf diese Gelegenheit gewartet. Ihre Angelegenheit schien dringlich genug zu sein, dass sie seine Entscheidung nicht weiter in Frage stellte.

Zu jedem einzelnen Mitarbeiter ging er, setzte oder stellte sich ihnen gegenüber, gab ihnen ganz das Gefühl Mittelpunkt allen Geschehens zu sein und sprach Worte, von denen sie große Augen bekamen. Sie zeigten allesamt erst Angst und Ungläubigkeit, doch am Ende des Gespräches Dankbarkeit und Erleichterung. Die Ungläubigkeit jedoch blieb.

Er sagte Dinge, die keiner wissen konnte. Er schien direkt in die Seelen der Menschen hinein zu schauen und sprach die Dinge an, die dort brannten und dringende Erledigung erforderten.

Schließlich ging er in das Büro der Chefin.

Sie saß in ihrem Sessel hinter dem Schreibtisch und feuerte wütende Blicke auf ihn ab.

„Sind Sie eigentlich noch bei Sinnen?“, fragte sie fassungslos.

Bevor sie ihrer Wut weiter Ausdruck verleihen würde, machte er eine kleine Einhalt gebietende Geste.

„Ich habe mehr Sinne, als Sie zu ahnen wagen“, entgegnete er ihr ruhig und verständnisvoll. „Wir haben darüber gesprochen. Ich habe Ihnen gesagt, dass diese Vollmachten nötig sein würden und dass ich auf für Sie schmerzhafte Weise davon Gebrauch machen würde. Sie werden drei weitere Leute einstellen, und ich werde ihnen sagen, in welchen Positionen.“

Sie schnappte nach Luft, doch er ließ ihr keine Zeit etwas zu erwidern.

„Ziel ist einzig und allein die Optimierung ihrer Firma“, erinnerte er sie, nahm einen tiefen Atemzug und fuhr fort: „Und jetzt geht es um Sie!“

Mit einer hochgezogenen Augenbraue richtete sich Frau Doktor Wertheim in ihrem Sessel auf und blickte ihn herausfordernd an. Er bemerkte, wie sie sich an ihren Armlehnen festhielt.

„Wann hatten Sie das letzte Mal Urlaub?“, fragte er. „Vor zehn Jahren?“

„Vor zwölf“, gab sie knapp zurück, und der Druck ihrer Hände verstärkte sich an den Enden der Armlehnen.

Das wusste er. Aber er wusste auch, dass er auf mehr Angst und Widerstand stieß, wenn er zu perfekt erschien, wenn es wirkte, als würde er alles wissen.

„Zwölf“, murmelte er, als würde er nachdenken.

„In den nächsten zwölf Monaten werden Sie lernen, Arbeiten zu delegieren“, erklärte er, als sei dies bereits Fakt. „Ihr Ziel wird es sein, nächstes Jahr drei Monate Urlaub machen zu können, ohne dass der Betrieb darunter leidet.“

Sie schnappte nach Luft.

„Drehen Sie sich um und schauen Sie aus dem Fenster“, forderte er in einem plötzlich bestimmenden Tonfall, der keine Widerrede zuließ. Sie tat wie geheißen.

„All die Gebäude dort draußen sind immer da. Immer da. Sie kommen sich unentbehrlich vor. Sie sind kalt und hart, wirklich hart“, gab er von sich. Sie kniff die Augen zusammen, während sie versuchte, seinen Beschreibungen zu folgen. Einerseits klang es unsinnig, was er da beschrieb. Andererseits fühlte sie sich direkt in ihrer Seele angesprochen.

Während er weiter redete und eine kalte und harte Welt beschrieb, näherte er sich ihr langsam und bedächtig. Nach einer gefühlten Ewigkeit legte er Frau Doktor Wertheim von hinten die Hände auf die Schultern. Sie waren warm und weich.

Die harte und kalte Fassade brach mit einem Schlag zusammen. Die immer entschlossene und bestimmende Frau sank mit einem Mal schluchzend und zittern in ihren Sessel hinein.

Er redete noch eine Weile weiter. Seine Worte waren warm und weich wie seine Hände und waren wie Balsam für ihre Seele. Er fing sie auf und richtete sie wieder auf.

Als er ging war alles anders.

Das war sein Job. Er war ein X-Frequencer. Für ihn lief das immer so ab.

Seine Rechnungen erschienen immer unverschämt hoch. Sie wurden jedoch stets bezahlt.

Er bekam regelmäßig Dankesschreiben und Aufmerksamkeiten, sowohl von einzelnen Mitarbeitern wie auch von den Chefs. Er wusste bereits, dass er in etwa fünfzehn Monaten eine Postkarte von Frau Wertheim erhalten würde. Ein Strand würde darauf zu sehen sein. Er wusste jedoch tatsächlich noch nicht, welcher.

Diese Unwissenheit gefiel ihm.

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