Wal

Wer mich persönlich kennt, wird ungläubig lachen, aber ich war als Kind recht redselig.

Heute kennt man mich als einen schweigsamen und nachdenklichen Menschen.

Wenn ich etwas sage, dann hat das allerdings auch Gewicht. Das ist dann gründlich überdacht und sorgfältig formuliert. Es hat Hand und Fuß; das ist mir wichtig.

Wem habe ich das zu verdanken?

Wir lebten damals in einem 100-Seelen-Dorf. Jeder kannte jeden. Ich bin zu meinen Nachbarn rüber gegangen. Einfach so, denn damals brauchte man keine Gründe. Die Tür war auf.

Die 4-köpfige Familie saß im Wohnzimmer und schaute mit glasigen Augen auf den Fernseher.

Darf ich vorstellen: Meine Mentoren.

Tut mir leid, ich weiß auch nicht, warum sie gerade so geistesabwesend wirken. Ich glaube, sie langweilen sich gerade zu Tode.

Wie gut, dass ich vorbei kam, um ein wenig Stimmung zu machen.

Ich fing ein Gespräch an.

„Pssst!“

Ich schnitt ein anderes Thema an.

„Pscht!!“

Augenbrauen zogen sich zusammen.
Alle Blicke richteten sich nach wie vor starr auf den Fernseher.

Ich warf einen Blick darauf.

Die hohe See, starker Wellengang. Grau in Grau. Ein bärtiger Mann schaute grimmig und verbissen in die Ferne. Das Wasser spritze hoch. Wieder das Meer. Wieder der Mann, das grimmige Gesicht jetzt in Nahaufnahme. Irgendwas im Wasser. Der grimmige Mann noch grimmiger.

Langweilig.

Wie gut, dass ich vorbei kam, um ein wenig Stimmung zu machen!

Ich fing ein Gespräch an.

„Sag mal, Du redest gerne, oder?“
„Willst Du nicht zu Hause weiter reden?“
„Siehst Du nicht, dass wir hier einen Film schauen?“

Ich stutzte. „Ihr schaut das … gerne?“
„Ja!“, vier Mal, energisch.
„Ok, tschüss!“

Seitdem überlege ich, bevor ich spreche. Und bevor ich dann etwas sage, habe ich reichlich darüber nachgedacht, was und wie genau ich es sagen soll. Und oft genug bleibt es dann auch beim Überlegen.

Ich bin dankbar für diese frühe Lektion. Man schätzt mich für meine wohl überdachte und gut formulierte Meinung.

Andere Menschen werden gemieden, weil sie immer nur inhaltloses Zeug reden, das keiner hören will. Dieses Schicksal ist mir erspart geblieben.

Manchmal sollte ich sicher mehr reden, vielleicht auch mal abseits von Sinn und Ziel. Man sagt mir nämlich deswegen schon manchmal Autismus nach. (Vielleicht ist da ja auch etwas dran, ganz unabhängig von meinem Kommunikationsverhalten. Aber das mag eine andere Geschichte sein.)

Wie so oft liegt der gute Weg in der Kommunikation wohl wieder in der Mitte.

Danke für die Lektion, Moby Dick.

Ruhe in Frieden.

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