Uhren

Paralleluniversen-Grenzwächter war genau mein Job.

Es ging nicht nur um das Kontrollieren von Raum, sondern um die Überwachung einer größeren Spanne von Raumzeit. Denn ein Sprung zwischen den Universen brachte auch immer die Möglichkeit mit sich, in der Zeit ein wenig vor oder zurück zu springen. Wir reden hier von ein paar Jahrhunderten. Und zwar mit jedem Sprung wieder, auch bei wiederholten Sprüngen zwischen zwei Universen.

Irgendwie hatte ich immer im Hinterkopf, den Job nur anzunehmen, um in die Lage zu gelangen, Welten zu retten. Wow, das klingt jetzt überheblich. Aber ich habe mir immer Fragen gestellt wie: Wie wäre die Welt ohne Hitler? Ich stellte mir vor, all die Fehler und ungünstigen Zufälle aus so vielen Universen ausmerzen zu können.

Gott spielen. Jedoch genau sowas zu verhindern war mein Job.

Eine andere verrückte Idee war es, mich selbst zu treffen. Was könnte ich erreichen, wenn es mehrere von mir gäbe? Eine Armee von mir mit den gleichen Zielen und Möglichkeiten.

Tatsächlich war ich dann derjenige, der eines Tages von einem anderen Ich aufgesucht wurde. Ich war nicht so überrascht, aber schon aufgeregt.

Er hatte es arrangiert, dass wir uns in einem geheimen Raum trafen, von dem ich nicht mal wusste, in welchem Universum und in welcher Zeit ich mich befand.

Ein wenig wirkte es auf mich wie ein Verhörraum. Es gab einen Tisch und zwei Stühle, eine kleine Lampe stand auf dem Tisch. Sonst war der Raum leer. Wirklich leer. Es roch nach nichts, es gab keine Geräusche, es fühlte sich sogar an, als gäbe es außerhalb des Raumes überhaupt nichts.

„Lass uns gleich zu Beginn ein paar Punkte durchsprechen“, fing er das Gespräch an, ohne sich auch nur vorzustellen. Na gut, er war… ich! Er wirkte allerdings ein wenig älter als ich.

Er legte einen Gegenstand auf den Tisch, der wie ein Diktiergerät aussah, und schaltete ihn ein.

„Hitler zu töten verändert gar nichts“, sagte er unwirscht mit einer wegwischenden Geste und mit einer Überzeugung, als hätte er es selbst erlebt. „Ein Anderer würde einfach seinen Platz einnehmen“, erklärte er, „solange die dahinterliegenden Wirkungen nicht beeinflusst wurden. Und diese sind“, er suchte nach dem richtigen Wort, „komplexer, als Du es Dir im Augenblick ausmalst. Es könnte sogar sein, dass Du das Gegenteil erreichst von dem, was Du geplant hattest.“

Ich blickte ihn fragend an und er erklärte: „Je größer das Problem ist, in das Du eingreifen willst, umso wahrscheinlicher ist, dass Du dabei überhaupt nichts veränderst, wenn Du seine Hintergründe nicht verstehst und statt der Ursache versuchst, das Symptom zu bekämpfen.“

Er hustete kurz. „Es ist fast immer am sinnvollsten, überhaupt niemanden umzubringen“, brachte er schließlich hervor.

Was sollte ich sagen? Ich glaubte ihm erstmal, er wirkte überzeugend auf mich. Vielleicht nur deswegen, weil er ich war? Ich wusste es nicht mit Sicherheit zu sagen.

„Okay“, gab ich einsichtig von mir. Es schien ihn fast ein wenig zu überraschen. Das Gerät auf dem Tisch gab ein paar leise Klicks von sich. Unruhig scharrte ich mit den Füßen. Das verursachte nur leise Geräusche, doch sie wirkten auf mich wie Fingernägel an der Schultafel, also hörte ich damit auf.

„Eine alternative Erde in der Vergangenheit zu unterwerfen und ihr Herrscher zu werden, führt zu keinem positiven Ergebnis in der Gesamtbilanz, egal wie gut Du es meinst“, fuhr mein anderes Ich mit dem nächsten Punkt fort. „Je weniger Du in das System eingreifst, umso weniger Schaden richtest Du an. Du glaubst manchmal, Du wüsstest es besser“, er lehnte sich vor, „aber Du irrst Dich.“

Er holte ein kleines Päckchen aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette daraus an. Ich war entsetzt.

„Üblicherweise gibt es nichts besseres als die SI, die Selbstorganisierte Intelligenz“, erklärte mein anderes Ich mir und machte ein paar Kringel aus stinkendem Rauch.

„Klingt vernünftig“, stimmte ich ihm zu. „Und dafür gibt es auch Belege?“, fragte ich nach. Man muss sich ja auch selber hinterfragen dürfen.

Mein anderes Ich blies Rauch durch die Nase aus, musterte mich kritisch und schaute besorgt und angespannt auf das kleine Gerät, das er mitgebracht hatte.

„Du bist aus einem bestimmten Grund PUG geworden“, sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Du hast einerseits den Gedanken, dass viele andere Menschen weniger gut geeignet wären, Paralleluniversen-Grenzwächter zu sein als Du. Andere könnten ihre Position ausnutzen. Gleichzeitig spielst Du selber mit genau dieser Idee.“

War dies tatsächlich ein Verhör? Scheinbar spielerisch drehte er den Kopf der Lampe in meine Richtung, so dass ich in das grelle Licht schaute.

Ich grinste unsicher. Ich hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen. Aber ich spürte, wie Schweiß aus meinen Poren trat. Meine Kopfhaut kribbelte.

„Es gibt eine Instanz von Überwachern über den PUGs der bekannten und offiziell vereinten Universen“, sagte mein anderes Ich und ließ mir Zeit, diese scheinbar so einfache Aussage wirken zu lassen. Er drehte den Kopf der Lampe wieder nach unten.

„Ich hab mich schon immer gefragt, wer die Wächter bewachen sollte“, scherzte ich.

„Diese Einheit bringt abtrünnige PUGs und andere illegalen Springer zur Strecke“, erklärte er ernst und durchbohrte mich dann mit seinem Blick, während er einen Zug aus der Zigarette tief inhalierte.

Ich stellte mir vor, wie ich zu dieser Einheit gehören würde.

Dann kam mir ein Gedanke. Mein anderes Ich schien auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Er lachte triumphierend.

„Was stellst Du Dir gerade vor?“, fragte er mit einem bösen Grinsen und beugte sich zu mir vor. Ich schluckte und nickte ihm zu. Er wusste es genau.

„Ich jage mich selbst“, antwortete ich trocken. Ich fühlte mich besonders unwohl. Ein Schweißtropfen lief mir die Schläfe hinab.

Mein anderes Ich lachte und zertrat die halb gerauchte Zigarette auf dem Boden.

Er tippte auf das Gerät vor sich. „Ich habe Dich gerade getestet“, gab er im neutralen Ton von sich und hustete wieder. „Du eignest Dich. Du könntest das Team erweitern und bereichern.“

Euphorie durchflutete mich. Was für eine Vorstellung. War das möglich oder war ich in einem verrückten Traum gefangen?

„Unser Sitz ist in einem Universum, in welchem die Erde kein menschliches Leben beherbergt und nur aus friedlichen, kleinen Inseln besteht. Ein Paradies“, erläuterte er. „Und Du bist der einzige Mitarbeiter“, lachte er.

Er sah meine Verwirrung und erklärte: „Du und jetzt knapp dreihundert unserer Ichs.“

Das haute mich um. Ich führte also in hundertfacher Form eine geheime Gesellschaft, welche versuchte alle Universen zu überwachen. Beziehungsweise deren Überwacher. Und wir besaßen dafür ein eigenes Universum. Der Haken war nur, dass ich mich selber jagen sollte. Das gab mir zu denken.

„Wenn ich jetzt ein Abtrünniger gewesen wäre“, überlegte ich laut, „wie wärst Du dann mit mir umgegangen?“

Mein anderes Ich zog in aller Ruhe eine Waffe und legte sie auf den Tisch.

„Moment mal“, rief ich aufgebracht und hob die Hände wie zur Verteidigung. „Ich dachte, Töten wäre keine Lösung!“

Ich mochte den Gedanken überhaupt nicht, dass andere Ichs von mir sterben mussten.

Gleichmütig zuckte mein anderes Ich mit den Schultern. „Wir sind noch nicht perfekt“, erklärte er. „Wenn Du bessere Vorschläge hast, sind unsere anderen Ichs mit Sicherheit dafür offen.“

Er blickte auf seine Uhr und stand auf, als wäre es eilig.

„Wir müssen jetzt gehen“, sagte er.

„Rauchen ist ungesund“, sagte ich und stand mit ihm auf. „Ich kann Dir helfen, damit aufzuhören. Ich hab auch mal geraucht.“

Er nickte. Ich sah seinen Blick. Er hatte kaum Hoffnung, dass es ihm gelingen würde – aber ich war schließlich ein Stück weit er.

„Klingt gut“, sagte er mit einem Hauch von Hoffnung.

Ich folgte ihm durch die Tür und der Raum hinter uns hörte auf zu existieren.

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